klausurtaktik

10 Tipps für eine gelungene Examensklausur1

1. Bewertungsmaßstab der Klausuren verinnerlichen

Das Prüfungsamt will folgendes festgestellt wissen: „Die Bewerber sollen in der Prüfung zeigen, dass sie das Recht mit Verständnis erfassen und anwenden können und über die hierzu erforderlichen Kenntnisse in den Prüfungsfächern verfügen. […] Überblick über das Recht, juristisches Verständnis und Fähigkeit zu methodischem Arbeiten sollen im Vordergrund von Aufgabenstellung und Leistungsbewertung stehen.“ (siehe zB § 16 I 3, II 2 BayJAPO).

2. Korrektorensicht einnehmen

Korrektoren bekommen eine Vielzahl von Klausuren (meist 20-30) und werden aufgrund der geringen Vergütung pro Klausur und ihrer Haupttätigkeit eher wenig Zeit für jede einzelne Klausur aufbringen können oder auch „wollen“. Mache dem Korrektor die Korrekturarbeit daher so leicht wie möglich. Dies gelingt einem insbesondere durch eine verständliche Sprache, leserliche Handschrift und übersichtlichen Aufbau des Gutachtens (zB Überschriften/Absätze/Einhalten der Gliederungsebenen).

3. Richtige Zeiteinteilung

Oberstes Gebot in der Examensklausur ist es, mit der Klausur fertig zu werden. Eine unvollständige Bearbei-tung der Fragen führt zu erheblichen Abzügen. Eine richtige Zeiteinteilung ist daher unerlässlich. Dieser Punkt hängt immer vom individuellen Schreibfluss und der Aufgabenstellung ab, sodass jeder letztlich durch die Klausurpraxis (!) seinen eigenen Weg finden muss. Grob kann man sich aber an folgende, oftmals bewährte Zeiteinteilung orientieren: 1-1,5h Lesen des SV + Lösungsskizze, 3,5-4h Niederschrift. Im Strafrecht ist allerdings meist (noch) mehr Zeit für die Niederschrift einzuplanen.

4. Vollständige Sachverhaltsauswertung

Besonders negativ bewertet wird es, wenn der Sachverhalt nicht richtig oder in seiner Gänze ausgewertet wird. Dabei kann man sich merken, dass sich fast alle Angaben aus dem Sachverhalt nach rechtlicher Würdigung spiegelbildlich in deinem Gutachten wieder finden müssen (Spiegelmethode). Ausnahme bestehen nur für Sachverhaltsausschmückungen. Der Klausurersteller schreibt ansonsten selten etwas, was nicht zur Lösung des Falles dienlich sein soll.

5. Lösungen mit und anhand des Gesetzes entwickeln2 

Oftmals findet sich in den Prüfungsarbeiten die Anmerkung „fehlender Gesetzesbezug“ oder „ungenaue Ge-setzesarbeit“. Um diese Kritik zu vermeiden, muss darauf geachtet werden, dass Normen genauestens zitiert werden (Abs., S., Var.) und für Tatbestandsmerkmale, Ausschlussgründe und Rechtsfolgen die entsprechenden Vorschriften genannt werden. Daneben ist es ratsam, dass man einfach den Gesetzeswortlaut abschreibt und nicht gesetzesfremde Begriffe verwendet (zB „Das Rechtsgeschäft könnte gem. § 142 I BGB als von An-fang an nichtig anzusehen sein“). Denn nur durch die Rückbindung an das Gesetz, ergibt sich die Legitimation deiner Lösung.

6. Richtige Schwerpunktsetzung

Die richtige Schwerpunktsetzung ist ein maßgebliches Bewertungskriterium und führt zu einer überdurch-schnittlichen Klausur. Gleichwohl stellt sie einer der größten Herausforderungen für Studenten dar, die nur durch stetiges Klausurlösen geschult werden kann. Grob lässt sich aber sagen, dass je mehr im Sachverhalt zu einem bestimmten Punkt steht, desto längere Ausführungen sind auch in der gutachterlichen Fallbearbeitung erforderlich. Sie zeichnet sich durch ein angemessenes Verhältnis der Ausführungen zu Hauptproblemen und Nebensächlichkeiten aus. Dies gelingt durch eine Mischung von Gutachten-, Feststellungs- und Urteilstil3 und durch eine umfassende Darstellung der im Sachverhalt angelegten Probleme. Demgemäß sollten Tatbestandsvoraussetzungen, die in der Klausur unproblematisch vorliegen, nicht angesprochen oder jedenfalls nur im Feststellungsstil abgehandelt werden (zB nicht bei § 932 I 1 BGB: „Es müsste ein Rechtsgeschäft iSe Verkehrsgeschäft vorliegen“; gleiches gilt für das Merkmal iSd § 929 S. 1 BGB: Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe). Ein perpetuierliches Ansprechen dieser Punkte wirkt lehrbuchartig, zu schematisch und lässt einen unsouverän erscheinen. Daneben darf kein Wissen ausgebreitet werden, das mit dem zu lösenden Fall in keinem Zusammenhang steht. Alles, was nicht der Lösung des Falles dient, gehört nicht ins Gutachten (keine „Wissen-sprostitution“ bzw. „lehrbuchartige Ausführungen“). Stellt euch immer die Frage: Benötige ich diese Ausführungen, um der Lösung näher zu kommen?

7. Juristisches Handwerkzeug beherrschen

Überzeugende Gutachten und hervorragende, angehende Juristen etikettieren sich durch die Beherrschung des juristischen Handwerkzeugs. Im Gutachten ist daher stets darauf zu achten, dass Rechtsprobleme mit den klassischen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Telos, Systematik, ggf. Historie) hergeleitet und gelöst werden und etwa bei Analogieschlüssen prinzipiell deren Voraussetzungen (I. Planwidrige Regelungslücke + II. Vergleichbare Interessenslage) sauber zu prüfen sind.

8. Problembewusstsein4 und Argumentationsfähigkeit5 demonstrieren

Im Examen kommt es nicht auf das Ergebnis an, zumal es in der Juristerei oftmals nicht das „eine und richtige Ergebnis“ gibt. Vielmehr möchte der Prüfer sehen, dass man in der Lage ist, (unbekannte) rechtliche Probleme zu erkennen und sauber im Gutachtenstil herauszuarbeiten. Diskussionswürdige Probleme bestehen meist dann, wenn der Sachverhalt sich nicht widerspruchlos unter den Tatbestand subsumieren lässt (analytische Gutachtenmethode), wertungswidersprüchlich erscheint (Stichwort: teleologische Reduktion) oder vom Normalfall abweicht (Normalfallmethode). Vorzugswürdig ist es hier, wenn die Meinungen so dargestellt werden, als hätte man sich die unterschiedlichen „Ansichten“ selbst hergeleitet (zB „Ausgehend vom Wortlaut könnte man meinen, dass xxx“). Etwas anderes gilt bei Standardstreitigkeiten, dort erwartet der Prüfer die gängigen Bezeichnungen der vertretenen Theorien (zB Exklusivitätstheorie/Spezialitätstheorie bei der Abgrenzung von §§ 249/253, 255 StGB). Bei der anschließenden Lösung des Problems ist Argumentationsfähigkeit gefragt, denn diese ist Kernkompetenz eines jeden Juristen. Eine überzeugende Argumentation gelingt dabei durch die Rückbindung an das Gesetz, den Rekurs auf die Auslegungsmethoden und dem Verwenden juristischen Argu-mentationsmuster (zB Erst-recht-/Umkehrschluss). Ein Verweis auf die h.M. oder den BGH ist dagegen kein Argument!

9. Klare, verständliche Sprache6

Wie der Hammer des Schmieds oder das Skalpell des Chirurgen, ist die Sprache des Juristen sein wichtigstes Arbeitswerkzeug. Eine klare, verständliche Sprache bringt insbesondere zum Ausdruck, dass man in der Lage ist, überzeugend sein Ergebnis zu begründen, Schwerpunkte setzen kann und juristisch präzise arbeiten/subsumieren kann. Die maßgeblichen Bewertungsmaßstäbe, Schwerpunktsetzung, Argumentationsfähigkeit und sauberes methodisches Arbeiten sind damit durch die Sprache bedingt.

Dont’s: keine Schachtel- oder Bandwurmsätze; kein Verwenden persönlicher Ausdrücke (Gebot der Neutralität); Füllwörter und überflüssige Wörter vermeiden (zB „nun“/ „im Endeffekt“ oder „laut Sachverhalt“/„hier“); Ausdruck von Unsicherheit vermeiden (zB „natürlich“/„zweifellos“/„unstreitig“/„wohl“); falsche Verwendung des Konjunktivs

Do’s: Kurze, prägnante Sätze (Gebot der Knappheit); sauberes Subsumieren (insb. keine reine Wiederholung des Sachverhalts/lebensnahe Auslegung); Verwenden der juristischen Fachbegriffe (aber: Schlagwörter ersetzen keine Subsumtion!); aussagekräftige Argumentation; Weglassen von Definitionsteilen, die nichts mit dem konkret zu bearbeitenden Fall zu tun haben; keine Rechtschreib-, Satzbau- oder Interpunktionsfehler; keine Alltagssprache

10. Klausuren, Klausuren, Klausuren (!!!)

Ein Umsetzen dieser Punkte gelangt nur durch ein routiniertes Anwenden und Üben in Probeklausuren. Das Schreiben von Klausuren ¬– ohne Hilfsmittel – in der Vorbereitung ist daher unabdingbar für eine gute Examensklausur. Nicht zuletzt wurde bewiesen, dass sich die Noten im schriftlichen Teil des Examens signifikant mit der Anzahl der geschriebenen Probeklausuren steigern.7

Fazit
Summa summarum lässt sich sagen, dass sich eine gelungene Examensklausur vor allem aus fünf Bausteinen zusammensetzt: (1) Vollständigkeit, (2) zum Ausdruck kommendes Rechtsverständnis, (3) sauberes juristisch-methodisches Arbeiten, (4) Problembewusstsein mit richtiger Schwerpunktsetzung, (5) klare, überzeugende Sprache nebst Argumentationsfähigkeit.

1 Sehr lesenswert auch Sanders/Dauner-Lieb, Recht Aktiv – Erfolgreich durch das Examen, 2021, S. 60 ff. (Kapitel 4: Der Weg zur Superklausur).

2 Siehe dazu auch Halkenhäuser/Blum, Präzision in juristischen Prüfungsarbeiten, JuS 2021, 297 ff.

3 Vgl. OVG Münster BeckRS 2010, 45569: „Im Gutachten müssen eindeutige Fragen und Nebensächlichkeiten nicht im Gutachtenstil abgehandelt werden“; Bialluch/Wernert, Grundlagenwissen, Gesetzesbezogene Fallbearbeitung, JuS 2018, 326 ff.

4 Siehe ferner Konertz, Probleme erkennen in juristischen Prüfungsaufgaben, JuS 2020, 297 ff.

5 lesenswert dazu Meier/Jocham, Wie man Argumente gewinnt, JuS 2015, 490 ff; Früh, Juristisch auslegen, argumentieren und überzeugen, JuS 2021, 905 ff.

6 Siehe auch OVG Münster NVwZ 1995, 800 (803): „Zur Rechtsanwendung gehört auch die Fähigkeit, sich bei Falllösungen wie überhaupt bei Rechtsausführungen grammatikalisch korrekt, in verständlicher Sprache und in einem sachangemessenen Sprachstil in Wort und Schrift auszudrücken“; Wieduwilt, Die Sprache des Gutachtens, JuS 2010, 288 ff. 

7 Siehe dazu die Studie von Towfigh/Traxler/Glöckner, ZDRW 2014, 8 ff.