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Die Abgrenzung von Raub (§ 249 StGB) und räuberischer Erpressung (§§ 253, 255 StGB) - ein Überblick

A. Einleitung

Die Abgrenzung zwischen Raub (§ 249 StGB) und räuberischer Erpressung (§§ 253, 255 StGB) weist bei den Prüfungsämtern und damit in der strafrechtlichen Examensklausur zweifellos eine hohe Klausurrelevanz auf.[1] Die Wahrscheinlichkeit, dass die strafrechtlichen Aufsichtsarbeiten zu prüfende Straftaten gegen das Vermögen insgesamt enthalten, liegt sogar bei 84,8%.[2] Aufgrund der praktischen Bedeutung und der hohen Entscheidungsdichte zu den §§ 249 ff. StGB sollte sich der Examenskandidat[3]  vor diesem Hintergrund mit jenen Straftatbeständen vertieft auseinandersetzen und keiner rudimentären Behandlung verfallen. Wissenslücken führen hier zu erheblichen Punktabzügen. Der nachfolgende Beitrag soll dabei Hilfestellung bieten und einen Überblick über die Abgrenzungsproblematik von § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB verschaffen.

B. Das Verhältnis zwischen § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB und seine Abgrenzung zueinander

Wie das dogmatische Verhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung ausgestaltet ist, gehört zu einer der umstrittensten Fragestellungen im Bereich der Vermögensdelikte.

Aber aufgepasst (!): Nicht in allen Fallgestaltungen ist der Streit entscheidungsrelevant bzw. die Abgrenzungsproblematik ausführlich zu erörtern (s. dazu näher C.).

I. Allgemeines

Im Groben lassen sich hier zwei Ansichten unterscheiden. Dabei ist zu beachten, dass der Streit an zwei Stellen relevant werden und sich auswirken kann: (1) Einmal kann sich die Frage stellen, wie der Begriff der Wegnahme (genauer: Gewahrsamsbruch) im Sinne des § 249 I StGB auszulegen ist sowie (2) andererseits, ob die §§ 253, 255 StGB über den Wortlaut hinaus eine Vermögensverfügung als abgepresstes Opferverhalten erfordern.[4] Beide Problemkreise rühren letztlich aus den „Konsequenzen“, die sich aus dem unterschiedlichen dogmatischen Verständnis der beiden Straftatbestände ergeben und sind damit eng miteinander verknüpft. Für die Klausur bedeutet dies, dass jeweils eine am spezifischen Straftatbestand orientierte, also gesonderte Problemeinleitung und Problemdarstellung verfasst werden muss (s. näher B. II.). Die abzuwägenden Argumente für die Stellungnahme bleiben hingegen größtenteils gleich, insofern ergeben sich also keine merklichen Unterschiede.

Überblick 1: Verhältnis von § 249 StGB zu §§ 253, 255 StGB

Rechtsprechung + Teile der Literatur
(Spezialitätstheorie)

Literatur
(Exklusivitätstheorie + Verfügungstheorie)

Nachweise

BGH NJW 2018 Rn. 15; NStZ 2002, 31 (32); NJW 1955, 877 f.; Matt/Renzikowski/Maier, StGB, § 249 Rn. 40, § 253 Rn. 13 f., § 255 Rn. 5; Kudlich/Aksoy, JA 2014, 81 (85 ff.).

Lackner/Kühl/Heger, StGB, § 253 Rn. 3, § 255 Rn. 2; Rengier StrafR BT I25, § 11 Rn. 13 ff., 25 ff., 34 ff.; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, StrafR BT II, Rn. 772 f., 791 ff; Schladitz, JA 2022, 89 (91 ff.).

Inhalt

Nach der Spezialitätstheorie ist § 249 StGB lex specialis zu §§ 253, 255 StGB. §§ 253, 255 StGB ist sowohl Fremd- als auch Selbstschädigungsdelikt, da in jeder Wegnahme zugleich durch die Duldung der Wegnahme ein nach dem Wortlaut ausreichender Erpressungserfolg im Sinne der §§ 253, 255 StGB vorliegt.

Nach der Exklusivitätstheorie handelt es sich bei § 249 StGB um ein Fremdschädigungsdelikt und bei §§ 253, 255 StGB wegen der Parallele zu § 263 StGB um ein Selbstschädigungsdelikt, das zur Abgrenzung eine Vermögensverfügung voraussetzt, sodass zwischen Raub und räuberische Erpressung ein tatbestandliches Exklusivitätsverhältnis besteht.

Abgrenzung

Eine Abgrenzung beider Delikte sei nur auf Konkurrenzebene erforderlich und dafür könne nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgeblich sein.

• Ein Gewahrsamsbruch und damit eine Wegnahme liege vor, wenn sich das Geschehen des Täters objektiv als „Nehmen“ darstelle. Stelle es sich hingegen als „Geben“ des Opfers dar, komme nur §§ 253, 255 StGB in Betracht.

Eine Abgrenzung zwischen §§ 249/253, 255 StGB müsse ebenso wie bei §§ 242/263 StGB ausgehend vom Erfordernis einer Vermögensverfügung nach der inneren Willensrichtung des Opfers erfolgen.

• Ein Gewahrsamsbruch liege vor, wenn das Opfer glaube, dass der Gewahrsam unabhängig von seiner Mitwirkung „so oder so“ verloren sei. Hingegen liege ein wirksames tatbestandsausschließendes Einverständnis (= Vermögensverfügung) vor, wenn das Opfer seine Mitwirkungshandlung für den Gewahrsamswechsel für unerlässlich halte (sog. „Schlüsselposition“).

Konse-quenzen

• Wegen des Wortlauts der §§ 253, 255 StGB wird keine Vermögensverfügung verlangt.


• Vis absoluta kann taugliches Nötigungsmittel iSd §§ 253, 255 StGB sein.


• Jeder Raub (§ 249 StGB) stellt zugleich eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) dar, die im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität) hinter § 249 StGB zurücktritt. 

• §§ 253, 255 StGB erfordert wie § 263 StGB als Selbstschädigungsdelikt eine Vermögensverfügung, damit der selbstschädigende Charakter (raubabgrenzend) zum Ausdruck kommt.

• Wegen des Selbstschädigungscharakters kann vis absoluta kein taugliches Nötigungsmittel bei §§ 253, 255 StGB sein, nur vis compulsiva.

• §§ 253, 255 und § 249 StGB schließen sich gegenseitig aus (Vermögensverfügung = tatbestandsausschließendes Einverständnis in die Wegnahme iSd § 249 StGB).

Argumente

Wortlaut: Der Wortlaut der §§ 253, 255 StGB verlangt keine Vermögensverfügung. Da jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen als abgenötigtes Opferverhalten ausreicht, spricht dies gegen die Annahme eines Selbstschädigungsdelikts.

Systematik: §§ 253, 255 und § 263 StGB sind systematisch nicht vergleichbar. Denn die Tathandlungen der Täuschung und des Zwangs, die jeweils zu der Vermögenverschiebung führen, sind wesensverschieden.

Systematik: Systematisch spricht gegen das Erfordernis der Vermögensverfügung, dass §§ 253, 255 StGB hinsichtlich des Nötigungsmittels auf § 240 StGB aufbaut. Wenn man aber eine Verfügung und damit ein willensgesteuertes Verhalten verlangt, wäre das regelmäßig stärkste und intensivste Nötigungsmittel, die willensausschließend Gewalt (vis absoluta), nicht von §§ 253, 255 StGB erfasst. Eine andere Auslegung des Begriffs der Gewalt überzeugt vor diesem Hintergrund nicht.

Kriminalpolitisch: Kriminapolitisch nicht nachvollziehbar ist auch die Tatsache, dass dann der ohne Zueignungsabsicht, aber mit vis absoluta handelnde Täter gegenüber einem (nur) drohenden Täter privilegiert werden würde.

Telos: Teleologisch scheint es wegen des dem §§ 253, 255 StGB zugrundeliegenden nötigenden Elements sinnwidrig von einem Selbstschädigungscharakter auszugehen.

Systematik: §§ 253, 255 StGB weisen systematisch gesehen eine Parallelstruktur zum Selbstschädigungsdelikt des § 263 StGB auf. Auch dort ist unstreitig eine Vermögensverfügung in Abgrenzung zu § 242 StGB erforderlich, obwohl dies nach dem Wortlaut nicht vorausgesetzt wird. Wegen der parallelen Struktur liegt es nahe, §§ 253, 255 StGB daher auch als Selbstschädigungsdelikt zu verstehen und eine Vermögensverfügung zu verlangen.

Systematik: Mit der Vermögensverfügung kann außerdem in systematischer Hinsicht eine saubere Trennlinie zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten gezogen werden.

Systematik/Telos: Der Ausschluss der vis absoluta ist sys-tematisch nicht gänzlich zu erklären. Jedenfalls lässt sich aber dagegen einwenden, dass vis absoluta nicht immer das intensivste Nötigungsmittel sein muss. So kann das gewaltsame Zertrümmern des Beins mit einem Hammer qualvoller sein als ein bloßer K.O. Schlag.

Systematik: Jedenfalls spricht gegen das Spezialitätsver-hältnis die gesetzessystematische Stellung der Norm. Es ist ungewöhnlich, dass die speziellere Norm (§ 249 StGB) vor der allgemeineren (§§ 253, 255 StGB) stehen soll.

Systematik: Auch scheint systematisch gesehen § 249 StGB dann faktisch überflüssig zu sein. Denn nach der angenommenen Spezialität wäre mit § 249 StGB auch immer §§ 253, 255 StGB verwirklicht, der den gleichen Strafrahmen hat. Es kann nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass § 249 StGB keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben soll.

Überblick 1: Verhältnis von § 249 StGB zu §§ 253, 255 StGB
Rechtsprechung + Teile der Literatur (Spezialitätstheorie)

Nachweise

BGH NJW 2018 Rn. 15; NStZ 2002, 31 (32); NJW 1955, 877 f.; Matt/Renzikowski/Maier, StGB2, § 249 Rn. 40, § 253 Rn. 13 f., § 255 Rn. 5; Kudlich/Aksoy, JA 2014, 81 (85 ff.).

Inhalt

Nach der Spezialitätstheorie ist § 249 StGB lex specialis zu §§ 253, 255 StGB. §§ 253, 255 StGB ist sowohl Fremd- als auch Selbstschädigungsdelikt, da in jeder Wegnahme zugleich durch die Duldung der Wegnahme ein nach dem Wortlaut ausreichender Erpressungserfolg im Sinne der §§ 253, 255 StGB vorliegt.

Abgrenzung

Eine Abgrenzung beider Delikte sei nur auf Konkurrenzebene erforderlich und dafür könne nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgeblich sein.

• Ein Gewahrsamsbruch und damit Wegnahme liege vor, wenn sich das Geschehen des Täters objektiv als „Nehmen“ darstelle. Stelle es sich hingegen als „Geben“ des Opfers dar, komme nur §§ 253, 255 StGB in Betracht.

Konsequenzen

• Wegen des Wortlauts der §§ 253, 255 StGB wird keine Vermögensverfügung verlangt.

• absoluta kann taugliches Nötigungsmittel iSd §§ 253, 255 StGB sein.

• Jeder Raub (§ 249 StGB) stellt zugleich eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) dar, die im Wege der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität) hinter § 249 StGB zurücktritt

Argumente

• Wortlaut: Der Wortlaut der §§ 253, 255 StGB verlangt keine Vermögensverfügung. Da jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen als abgenötigtes Opferverhalten ausreicht, spricht dies gegen die Annahme eines Selbstschädigungsdelikts.

• Systematik: §§ 253, 255 und § 263 StGB sind systematisch nicht vergleichbar. Denn die Tathandlungen der Täuschung und des Zwangs, die jeweils zu der Vermögenverschiebung führen, sind wesensverschieden.

• Systematik: Systematisch spricht gegen das Erfordernis der Vermögensverfügung, dass §§ 253, 255 StGB hinsichtlich des Nötigungsmittels auf § 240 StGB aufbaut. Wenn man aber eine Verfügung und damit ein willensgesteuertes Verhalten verlangt, wäre das regelmäßig stärkste und intensivste Nötigungsmittel, die willensausschließend Gewalt (vis absoluta), nicht von §§ 253, 255 StGB erfasst. Eine andere Auslegung des Begriffs der Gewalt überzeugt vor diesem Hintergrund nicht.

• Kriminalpolitisch: Kriminapolitisch nicht nachvollziehbar ist auch die Tatsache, dass dann der ohne Zueignungsabsicht, aber mit vis absoluta handelnde Täter gegenüber einem (nur) drohenden Täter privilegiert werden würde.

• Telos: Teleologisch scheint es wegen des dem §§ 253, 255 StGB zugrundeliegenden nötigenden Elements sinnwidrig von einem Selbstschädigungscharakter aus-zugehen.

Literatur (Exklusivitätstheorie + Verfügungstheorie)

Nachweise

Lackner/Kühl/Heger, StGB30, § 253 Rn. 3, § 255 Rn. 2; Rengier, StrafR BT I25, § 11 Rn. 13 ff., 25 ff., 34 ff.; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, StrafR BT II46, Rn. 772 f., 791 ff; Schladitz, JA 2022, 89 (91 ff.).

Inhalt

Nach der Exklusivitätstheorie handelt es sich bei § 249 StGB um ein Fremdschädigungsdelikt und bei §§ 253, 255 StGB wegen der Parallele zu § 263 StGB um ein Selbstschädigungsdelikt, das zur Abgrenzung eine Vermögensverfügung voraussetzt, sodass zwischen Raub und räuberische Erpressung ein tatbestandliches Exklusivitätsverhältnis besteht.

Agrenzung

Eine Abgrenzung zwischen §§ 249/253, 255 StGB müsse ebenso wie bei §§ 242/263 StGB ausgehend vom Erfordernis einer Vermögensverfügung nach der inneren Willensrichtung des Opfers erfolgen.
• Ein Gewahrsamsbruch liege vor, wenn das Opfer glaube, dass der Gewahrsam unabhängig von seiner Mitwirkung „so oder so“ verloren sei. Hingegen liege ein wirksames tatbestandsausschließendes Einverständnis (= Vermögensverfügung) vor, wenn das Opfer seine Mitwirkungshandlung für den Gewahrsamswechsel für unerlässlich halte (sog. „Schlüsselposition“)

Konsequenzen

• §§ 253, 255 StGB erfordert wie § 263 StGB als Selbstschädigungsdelikt eine Vermögensverfügung, damit der selbstschädigende Charakter (raubabgrenzend) zum Ausdruck kommt.

• Wegen des Selbstschädigungscharakters kann vis absoluta kein taugliches Nötigungsmittel bei §§ 253, 255 StGB sein, nur vis compulsiva.

• §§ 253, 255 und § 249 StGB schließen sich gegenseitig aus (Vermögensverfügung = tatbestandsausschließendes Einverständnis in die Wegnahme iSd § 249 StGB)

Argumente

• Systematik: §§ 253, 255 StGB weisen systematisch gesehen eine Parallelstruktur zum Selbstschädigungsdelikt des § 263 StGB auf. Auch dort ist unstreitig eine Vermögensverfügung in Abgrenzung zu § 242 StGB erforderlich, obwohl dies nach dem Wortlaut nicht vorausgesetzt wird. Wegen der parallelen Struktur liegt es nahe, §§ 253, 255 StGB daher auch als Selbstschädigungsdelikt zu verstehen und eine Vermögensverfügung zu verlangen.

Systematik: Mit der Vermögensverfügung kann außerdem in systematischer Hinsicht eine saubere Trennlinie zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten gezogen werden.

Systematik/Telos: Der Ausschluss der vis absoluta ist systematisch nicht gänzlich zu erklären. Jedenfalls lässt sich aber dagegen einwenden, dass vis absoluta nicht immer das intensivste Nötigungsmittel sein muss. So kann das gewaltsame Zertrümmern des Beins mit einem Hammer qualvoller sein als ein bloßer K.O. Schlag.

• Systematik: Jedenfalls spricht gegen das Spezialitätsverhältnis die gesetzessystematische Stellung der Norm. Es ist ungewöhnlich, dass die speziellere Norm (§ 249 StGB) vor der allgemeineren (§§ 253, 255 StGB) stehen soll.

• Systematik: Auch scheint systematisch gesehen § 249 StGB dann faktisch überflüssig zu sein. Denn nach der angenommenen Spezialität wäre mit § 249 StGB auch immer §§ 253, 255 StGB verwirklicht, der den gleichen Strafrahmen hat. Es kann nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass § 249 StGB keinen eigenständigen Regelungsgehalt haben soll

II. Vorgehensweise und Formulierungsbeispiele für die Klausur

Wie immer gilt in der Jurisprudenz, dass es nicht die eine „richtige“ Lösung gibt und verschiedene Vorgehensweisen und mehrere Aufbaumöglichkeiten vertretbar sind. Dennoch empfiehlt es sich aus unserer Sicht und Erfahrung die Prüfung stets mit § 249 StGB zu beginnen, sofern sowohl eine Strafbarkeit nach § 249 StGB als auch nach §§ 253, 255 StGB in Betracht kommt; dies ist insbesondere bei einer möglichen Sacherpressung[5]  (Tatobjekt = fremde bewegliche Sache) der Fall. Dieser vorgeschlagene Prüfungsvorschlag ergibt sich vor allem auch daraus, dass die Rspr. § 249 StGB als speziellere Norm ansieht und man dieses Normverständnis in der Klausur nicht durch eine vorangegangene Prüfung der §§ 253, 255 StGB missachten sollte.


Gelangt man sodann zum Tatbestandsmerkmal der Wegnahme im Sinne des § 249 I StGB stellt sich die Frage nach der Darstellungsweise der Abgrenzungsproblematik. Auch hier scheiden sich die Geister, ob das Verständnis der dogmatischen Normstrukturen bereits bei der Streitdarstellung oder erst in der Stellungnahme erörtert werden soll, wobei beides vertretbar ist. Eine ausführliche Erörterung der hinter der Abgrenzungsproblematik herrührenden dogmatischen Grundlagen in der Meinungsdarstellung scheint aber jedenfalls überflüssig zu sein, wenn die Meinungen bei der Wegnahme zum gleichen Ergebnis kommen und erst beim ggf. zu prüfenden §§ 253, 255 StGB eine Stellungnahme erforderlich ist.

Achte bei der Stellungnahme darauf, dass du die widerstreitenden Argumente anhand der bekannten Auslegungsmethoden herausarbeitest, abwägst und dabei explizit die Begriffe Wortlaut, Systematik und Telos nennst; damit zeigst du dem Korrektor deine Fähigkeit zum methodischen Arbeiten, das ein maßgebliches Kriterium der Leistungsbewertung ist (vgl. § 16 I 3, II 2 BayJAPO).
Das nachfolgende Formulierungsbeispiel dient daher lediglich als Orientierungshilfe und ist nicht als absolute Direktive zu verstehen.
Überblick 2: Formulierungsbeispiel für § 249 I StGB

Prüfungspunkt: „Gewahrsamsbruch“
Die Gewahrsamsbegründung müsste durch Bruch erfolgt sein. Ein Bruch fremden Gewahrsams liegt vor, wenn neuer Gewahrsam ohne bzw. gegen den Willen des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers begründet wurde.
a) Hinleitung zum Problem:
O hat das Geld allerdings selbst ausgehändigt, sodass ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in den Gewahrsamswechsel vorliegen könnte. Andererseits geschah dies aus einer Zwangslage heraus, sodass auch eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB in Betracht kommt. Fraglich ist damit, an welchem Maßstab der Gewahrsamsbruch (bzw. das tatbestandsausschließende Einverständnis) im Rahmen des § 249 I StGB zu beurteilen ist.
b) Meinungsdarstellung:

aa) Äußeres Erscheinungsbild: Teilweise wird für das Vorliegen eines Gewahrsamsbruchs auf das äußere Erscheinungs-bild abgestellt. Stelle sich das Geschehen des Täters objektiv als „Nehmen“ dar, liege ein Gewahrsamsbruch und damit Wegnahme iSd § 249 I StGB vor. Stelle es sich dagegen als „Geben“ des Opfers dar, komme nur §§ 253, 255 StGB in Betracht.
> Subsumtion
bb) Innere Willensrichtung: Nach einer anderen Ansicht ist dafür die innere Willensrichtung des Opfers maßgeblich. Glaube das Opfer, dass der Gewahrsam unabhängig von seiner Mitwirkung „so oder so“ verloren sei, liegt ein Gewahrsamsbruch iSd § 249 I StGB vor. Hingegen liege ein wirksames tatbestandsausschließendes Einverständnis vor, wenn das Opfer seine Mitwirkungshandlung für die Vermögensverschiebung für unerlässlich hält (sog. Schlüsselposition).
 -> Subsumtion
c) Stellungnahme (selten zu entscheiden): Die Frage hängt maßgeblich davon ab, wie das dogmatische Verhältnis zwischen § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB ist.
aa) Exklusivitätstheorie: Das Abstellen auf die innere Willensrichtung ist nur ein sinnvolles Abgrenzungskriterium, wenn man § 249 StGB als Fremdschädigungsdelikt und §§ 253, 255 StGB als Selbstschädigungsdelikt sieht, das eine Vermögensverfügung voraussetzt und damit ein tatbestandliches Exklusivitätsverhältnis annimmt.
bb) Spezialitätstheorie: Würde man § 249 StGB aber als lex specialis zu §§ 253, 255 StGB sehen (sog. Spezialitätstheorie) und annehmen, dass §§ 253, 255 StGB als Fremd- sowie Selbstschädigungsdelikt keine Vermögensverfügung erfordert, kann es nicht auf die innere Willensrichtung ankommen. Es ergibt sich nur auf Konkurrenzebene ein Abgrenzungsproblem, da jeder Raub dann zugleich eine Räuberische Erpressung beinhaltet, weshalb das äußere Erscheinungsbild sachnäher ist.
 -> Abwägen der Argumente

Je nachdem, ob man eine Wegnahme annimmt oder verneint, stellt sich die weitere Frage, inwiefern abschließend noch eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB zu prüfen ist. Sofern man eine Wegnahme annimmt, ist achtsam zu prüfen, ob auch die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 249 I StGB (insb. die Zueignungsabsicht) verwirklicht sind. Kommt man zu einer Strafbarkeit nach § 249 I StGB, darf §§ 253, 255 StGB aufgrund der Konsequenzen der Theorien nicht mehr (umfangreich) erörtert werden.

Folgender Satz genügt: Eine Strafbarkeit des T nach §§ 253, 255 StGB besteht daneben nicht. Nach der Exklusivitätstheorie stehen § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB in einem Exklusivitätsverhältnis, die sich gegenseitig ausschließen. Nach der Spezialitätstheorie tritt der mitverwirklichte §§ 253, 255 StGB hinter dem spezielleren § 249 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.

Gelangt man hingegen zu dem Ergebnis, dass eine Wegnahme nicht vorliegt, ist die Prüfung der §§ 253, 255 StGB zwingend, da die Spezialitätstheorie auch erzwungene Vermögensverschiebungen ausreichen lässt.[6] Hier stellt sich sodann die Frage, ob eine Vermögensverfügung als abgepresstes Opferverhalten erforderlich ist. Diese Ausprägung des Streits um das Verhältnis zwischen § 249 StGB und §§ 253, 255 StGB wird sogar typischerweise in der Klausur anzutreffen sein. Dabei gibt es auch hier verschiedene Darstellungsmöglichkeiten; das folgende Formulierungsbeispiel zeigt eine davon.

Überblick 3: Formulierungsbeispiel für §§ 253, 255 StGB

Prüfungspunkt: „kausal abgenötigter Nötigungserfolg“
a) Hinleitung zum Problem: Ferner müsste T dem O durch die Drohung auch zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt haben (sog. Nötigungserfolg). O hat T aufgrund der Drohung das Geld herausgegeben, sodass eine Handlung des O erzwungen wurde. Der nach dem Wortlaut erforderliche Nötigungserfolg liegt damit vor.
b) Meinungsdarstellung: Fraglich ist aber, ob über den Wortlaut hinaus zu fordern ist, dass das abgenötigte Opferverhalten den Charakter einer Vermögensverfügung aufweisen muss.
(ggf. diese Streitfrage kann aber dahinstehen, wenn eine Vermögensverfügung vorliegt[7] )
 aa) Verfügungstheorie als Ausprägung der Exklusivitätstheorie: Teilweise wird vertreten, dass §§ 253, 255 StGB ebenso wie § 263 StGB ein Selbstschädigungsdelikt sei und als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung des Opfers voraussetze, damit der selbstschädigende Charakter zum Ausdruck komme (sog. Verfügungstheorie). Folge dieser Auffassung ist, dass Raub und Erpressung in einem Exklusivitätsverhältnis stehen, die sich als Fremd- und Selbstschädigungsdelikt genseitig ausschließen. Vermögensverfügung ist jedes willentliche Verhalten des Genötigten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.[8]  Das willentliche Verhalten muss dabei nach überwiegender Sicht so beschaffen sein, dass das Opfer seine Mitwirkung für die Vermögensverschiebung als unerlässlich ansieht (sog. Schlüsselstellung).
 -> Subsumtion
bb) Spezialitätstheorie: Demgegenüber wird vertreten, dass für den Nötigungserfolg entsprechend dem Wortlaut keine darüber hinausgehende Vermögensverfügung erforderlich ist. Daraus folgt, dass mit jedem Raub zugleich eine räuberische Erpressung verwirklicht ist, denn eine Wegnahme schließt eine Duldung als Nötigungserfolg iSd §§ 253, 255 StGB regelmäßig mit ein. Damit ist § 249 I StGB lex specialis zu §§ 253, 255 StGB (sog. Spezialitätstheorie).
-> Subsumtion
 c) Stellungnahme: Die Streitfrage hängt also maßgeblich davon ab, wie das dogmatische Verhältnis zwischen Raub und räuberische Erpressung ist. Eine Vermögensverfügung zu verlangen, ist nur sachgerecht, wenn man kein Spezialitätsverhältnis zwischen den Straftatbeständen annimmt, sondern §§ 253, 255 StGB als Selbstschädigungsdelikt sieht, das zum § 249 StGB als Fremdschädigungsdelikt in einem Exklusivitätsverhältnis steht.
> Abwägen der Argumente 

Zuletzt sind noch zwei Punkte anzumerken: (1) Wenn eine Stellungnahme erforderlich ist, bildet dies einen Schwerpunkt der Klausur. Da im Examen vorausgesetzt wird, dass jeder das das Verhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung beherrscht, sollte eine über mehrere Seiten erfolgte Streitdarstellung mit einer ausführlichen Argumentationslinie erfolgen. Nur so hebt man sich von anderem Bearbeiten ab. (2) Daneben ist unbedingt vor dem Hintergrund der Inkonsequenz darauf zu achten, dass wenn man etwa bei der Wegnahme der Spezialitätstheorie folgt, aber die Zueignungsabsicht verneint, bei der Prüfung der §§ 253, 255 StGB nun nicht plötzlich mit der Exklusivitätstheorie eine Vermögensverfügung fordert. Bleibe deiner Linie treu.

C. Relevanz des Streits

Wie bereits angekündigt sind eine Stellungnahme und Streitdarstellung nicht in jedem Fall erforderlich. In der Klausur ist genauestens darauf Acht zu geben, dass der Streit in seiner jeweiligen Ausprägung nur ausführlich dargestellt werden darf, wenn die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Ist dies nicht der Fall, sollten die Meinungsblöcke nur kurz umrissen werden. Ansonsten setzt man sich berechtigterweise dem Vorwurf der fehlenden Schwerpunktsetzung vom Korrektor aus.


Das fehlende Problembewusstsein ist oftmals darauf zurückzuführen, dass es schlicht an einem Gesamtüberblick über die anzutreffenden Fallkonstellationen mangelt. Die folgende Übersicht soll euch ein Gefühl dafür vermitteln, mit welchen Fallgestaltungen im Examen zu rechnen ist und wann eine Entscheidungserheblichkeit besteht.

Überblick 4: (Un)relevante Fallkonstellationen
I. Entscheidungsunerhebliche Fälle
(kein Streit und auch nur kurze Abhandlung der Theorien)

1. Täter hat allein den Gewahrsamswechsel vollzogen (§ 249 I StGB): Sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild stellt das Geschehen ein „Nehmen“ und damit eine Wegnahme iSd § 249 I StGB dar, als auch nach der inneren Willensrichtung des Opfers, liegt kein unerlässlicher Mitwirkungsakt vor und damit mangels tatbestandsausschließenden Einverständnisses eine Wegnahme vor. Kein Streit bei § 249 StGB, erst bei §§ 253, 255 StGB dann problematisch -> oft bei Anwendung von vis absoluta (s.u.)
2. § 249 StGB ist verwirklicht: Auf §§ 253, 255 StGB ist nur kurz feststellend einzugehen (s.o.).
3. Tatbestandsausschließendes Einverständnis liegt nach beiden Ansichten vor: Sofern ein freiwilliges, also unabhängig von dem eingesetzten Nötigungsmittel, entstandenes Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers in den Gewahrsams-wechsel/Vermögensverlust vorliegt. § 249 StGB (-) wg. tatbestandsausschl. Einverständnis; §§ 253, 255 StGB (-), da wegen Zustimmung kein Vermögensschaden.
4. Vermögensverfügung liegt vor bei §§ 253, 255 StGB (s.o.).
5. Forderungserpressung: § 249 StGB immer (-), da keine bewegliche Sache; nur §§ 253, 255 StGB ist zu prüfen, wobei dort str. ist, ob es auf eine Vermögensverfügung mangels Abgrenzungsproblems überhaupt ankommen kann.[9] 

II. Entscheidungserhebliche Fälle [10] 
(ausführliche Abhandlung der Theorien + Streitentscheid)

6. Täter nimmt eigene Sache weg (Gewaltsame Pfandkehr): § 249 StGB (-), da keine fremde bewegliche Sache; §§ 253, 255 StGB: nach Lit. (-), wenn eine „Wegnahme“ vorliegt und keine Verfügung, nach Rspr. (+), da §§ 253, 255 StGB keine Vermögensverfügung erfordert und Opfer die Wegnahme duldet, was als abgenötigtes Opferverhalten ausreicht.
7. Fehlende Zueeignungsabsicht (Gewaltsame Gebrauchsanmaßung): insb. bei fehlenden dauernden Enteignungsvorsatz
8. Gewaltanwendung in Form von vis absoluta, § 249 StGB scheitert aber an was anderes als der Wegnahme.
9. Geldautomaten-Schubser Fall (vgl. BGH JuS 2018, 300).
10. Preisgabefälle (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 14): Hier ergibt sich ein Unterproblem (weite <-> enge Verfügungstheorie[11] )
11. ggf. § 239a StGB: wenn der Täter nur beabsichtige, § 249 StGB zu begehen. Nach Spezialitätstheorie Erpressungsabsicht (+), da er durch § 249 auch zugleich §§ 253, 255 StGB verwirklichen wollte); Nach Exklusivitätstheorie (-), da TB sich gegenseitig ausschließen!  

D. Schluss

Das kontrovers diskutierte Verhältnis zwischen Raub und räuberischer Erpressung mitsamt seinen zwei problematischen Ausprägungsformen gehört zum absoluten Standardrepertoirewissen für jeden Examenskandidaten. Hat man das Grundverständnis und die hinter den Theorien stehenden dogmatischen Ansatzpunkte aber einmal nachvollzogen, so gelingt es einem im Examen in jeder Klausur zu einem sauber methodisch erarbeiteten und damit vertretbaren Ergebnis zu gelangen.

[1] Vgl. Universität zu Köln, Auswertung der strafrechtlichen Examensklausuren in den Jahren 2015-2019, S. 5 (abrufbar unter: https://klausurenkurs.uni-koeln.de/klausurenkurs/auswertung-der-examensklausuren [zuletzt: 19.2.2024]; Heghmanns, ZJS 2023, 966 f.

[2] Universität zu Köln, Auswertung der strafrechtlichen Examensklausuren in den Jahren 2015-2019, S. 1 (abrufbar unter: https://klausurenkurs.uni-koeln.de/klausurenkurs/auswertung-der-examensklausuren [zuletzt: 19.2.2024].

[3] Sofern im Folgenden das generische Maskulin verwendet wird, geschieht dies lediglich zur Verständlichkeit der Sprache. Es sind gleichsam alle Geschlechterformen (m/w/d) angesprochen. 

[4] Ähnlich Schladitz, JA 2022, 89.

[5] Bei einer Forderungserpressung ist § 249 StGB hingegen von vornherein nicht einschlägig.

[6] Rengier, StrafR BT I25, § 11 Rn. 15. 

[7] Beachte: Die bloße Duldung der Wegnahme begründet keine Vermögensverfügung.

[8] Innerhalb dieser Ansicht ist umstritten, welche inhaltlichen Anforderungen an das „willentliche Verhalten“ und der „Unmittelbarkeit“ der Vermögensverfügung zu stellen sind, es also einen „erpressungsspezifischen Verfügungsbegriff“ bedarf, siehe dazu Küper/Zopfs, Strafrecht BT11, Rn. 702 ff.

[9] Siehe dazu Rengier, StrafR BT I25, § 11 Rn. 14a; Schladitz, JA 2022, 89 (93).

[10] Zu weiteren Fallkonstellationen Mitsch, JuS 2022, 609 (610 f.).

[11] Siehe dazu Küper/Zopfs, Strafrecht BT11, Rn. 704; Rengier, Strafrecht BT I25, § 11 Rn. 36 ff.